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Leipzig – Sachsen will Polizeirecht reformieren.Auswirkungen auf die Kommunen

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Der Freistaat Sachsen ist mitten im Prozess der Reform des Polizeirechts. Die Novelle steht in einer Reihe mit den ähnlichen Vorhaben anderer Bundesländer und findet einigen Zu- sowie breiten Widerspruch. Wie auch in den übrigen Ländern wird sie kontrovers diskutiert. Insbesondere die Ausweitung der polizeilichen Kompetenzen nährt Befürchtungen, dass die Polizei verstärkt in die bürgerlichen Grundrechte eingreifen kann.

Die anhaltende Debatte um die Polizeirechtsnovelle ist für das Kommunalpolitische Forum Sachsen e.V. Grund genug die Frage zu stellen, was die Reformpläne für die Kommunen bedeuten. Dazu luden wir am 01.11.2018 in die Leipziger „Galerie KUB“ zu einer öffentlichen Diskussion. Auf dem Podium saßen Prof. Rebecca Pates (Universität Leipzig, Institut für Politikwissenschaft), Heiko Rosenthal (Bürgermeister und Beigeordneter für Umwelt, Ordnung und Sport der Stadt Leipzig), Frank Tempel (ehemaliger MdB für die LINKE und jetzt wieder im aktiven Polizeidienst in Thüringen), Enrico Stange (MdL und Mitglied des Innenausschusses für die LINKE in Sachsen) und Georg Grohmann (Mitglied im Vorstand Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit e.V., Vertreter von SALE – Soziale Arbeit Leipzig). Die Moderation übernahm Sarah Ulrich (freie Journalistin).

Am Anfang steht die Klärung, worüber genau gesprochen wird, wenn von der sächsischen Polizeirechtsnovelle die Rede ist. Dazu führte Enrico Stange aus, dass die Gesetzesreform tatsächlich zwei neue Gesetzestexte umfasst. Bislang finden sich sämtliche Regelungen in einem Gesetz, dem Sächsischen Polizeigesetz (SächsPolG). Dieses beinhaltet auch die Vorschriften für die gemeindlichen Vollzugsdienste, dass Weitere wird per Rechtsverordnung durch das SMI geregelt. Die Novelle sieht nun zum einen den Entwurf zum Sächsischen Polizeivollgzugsdienstgesetz (SächsPVDG) für die Landespolizei, zum anderen den Entwurf zum Sächsischen Polizeibehördengesetz (SächsPBG) für die Kommunen und Landkreise, vor. Damit wird die für die gemeindlichen Vollzugsdienste geltende Regelung per Verordnung auf eine gesetzliche Ebene gehoben, folglich können Kommunen ihre Ordnungsdienste in Polizeibehörden aufgehen lassen. Bislang ist das dem Namen nach möglich, aber mit eingeschränkten Befugnissen.

Konzentrieren wir uns im folgenden auf den Entwurf zum SächsPBG als dem für die Kommunen maßgeblichen Gesetz. Das SächsPBG überführt nun im wesentlichen die bisherigen Regelungen, beinhaltet darüber hinaus aber eine Reihe von neuen Aufgaben und Kompetenzen, von den laut Stange „die Einen sagen, sie seien grausam und die Anderen, sie seien notwendig.“ Faktisch erwachsen den Polizeibehörden der Kommunen polizeiliche Befugnisse über das Feld der Ordnungswidrigkeiten hinaus. Zu diesen Befugnissen zählen etwa die Identitätsfeststellung und Vorladung, die Platzverweisung, das Durchsuchen von Personen und Sachen, das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen, die Anwendung von Mitteln des unmittelbaren Zwangs mit Ausnahme von Schusswaffen (Handschellen, Pfefferspray, Schlagstock etc.) und die Überwachung des öffentlichen Raums mit Bildaufzeichnung. Ferner sinken die Hürden für den Erlass von Alkoholverbotszonen ab auf die Ebene von Ordnungswidrigkeiten. 

Eben hier regt sich Kritik. Erstens lehnt der Sächsische Städte- und Gemeindetag die Übertragung neuer Aufgaben auf die Kommunen ohne deren auskömmliche Finanzierung ab. Heiko Rosenthal sagt hierzu, dass konkret in Leipzig die im Entwurf normierte Aufgabenzuweisung mit dem bestehenden Personalkörper, dessen Ausbildung und Ausrüstung, nicht zu leisten ist. Selbst die bis Ende 2019 geplanten rund 100 Stellen im Stadtordnungsdienst sind für diese Aufgabenfülle nicht ausreichend. Der Freistaat entzieht sich seiner Ansicht nach der Verantwortung: Polizei ist Landesaufgabe und kann nicht vom Land auf die Kommunen abgewälzt werden. Zweitens verweist Enrico Stange eindringlich auf den Punkt, dass die Ordnungsbediensteten einer Kommune polizeiliche Aufgaben wahrnehmen sollen, ohne dass sie als Beamte der besonderen Sorgfaltspflicht unterliegen.

Einig ist sich das Podium in einem Punkt: der Ausbau und die Übertragung von Kompetenzen auf die kommunale Ebene soll verdecken, was eigentlich fehlt: gut ausgebildete und behutsam agierende PolizistInnen in ausreichender Zahl. Der über Jahre betriebene Personalabbau und die Zentralisierung der Reviere in immer größeren Gebietskörperschaften hat gerade im ländlichen Raum die Personaldecke der Polizei gefährlich ausgedünnt. Laut Frank Tempel fehlen in Sachsen PolizistInnen „an allen Ecken und Enden.“ Seit dem Abzug der Bundespolizei aus Sachsen hätte der Freistaat den Personalstock nie nachholend wiederaufgefüllt. Was nun die Gesetzesnovelle anstrebt ist keine Lösung, sondern die Verlagerung des Personalmangels durch Aufgabenübertragung vom Land an die Kommunen zum einen und mehr präventive Repression zum anderen. Stange ergänzt, dass die beim Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetz zu findende Fokusverschiebung auf eine Aufweichung der präventiven Gefahrenabwehr Eingriffsschwellen herabsenkt, was so auch auf die Polizeibehörden Auswirkungen haben wird. 

Hierbei liegen Deutschland und dessen Bundesländer im Trend der westlichen Staaten, so Rebecca Pates. Das Einschreiten bei und die Ahndung von tatsächlicher Kriminalität gerät ein Stück weit in den Hintergrund. In den Vordergrund tritt die Zukunftsprognose eines „Sie haben noch nichts getan, könnten es aber“ – und damit das falsche Versprechen umfassender Sicherheit. Weiters gibt sie zu bedenken, dass die Verschiebung von der Vergangenheit des „hat getan“  in die Zukunft zu einem „könnte tun“, ein zentrales Rechtsstaatsprinzip erodiert: Dass auf eine Tat die Strafe folgt und nicht umgekehrt. In nahezu der kompletten westlichen Welt  werden ähnlich lautende „Gesetzesänderungen immer mit Terrorabwehr legitimiert, was aber letztlich die Freiheiten aller einschränkt“.

Dies ist auch, was Georg Grohmann als Vertreter der sozialen Arbeit besorgt: Dass zunehmend der Ruf laut wird, auf soziale und ökonomische Probleme in der Gesellschaft autoritär mit Ordnungs- und Strafmaßnahmen zu reagieren. Wohnungsnot, Armut, Perspektivlosigkeit – diese Herausforderungen lassen sich so aber nicht lösen, sondern allenfalls verdrängen. Er stellt die Frage, wer eigentlich genau nach mehr Polizei und Sicherheit ruft, denn marginalisierte Gruppen wie Obdachlose erleben aus den genannten Gründen die Polizei nicht als helfend, sondern als gegen sie gerichtet: „Polizei durchsucht, Polizei vertreibt, Polizei verbietet – das ist, was wir immer wieder hören.“ Es sind eben die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen, die die Klientel der sozialen Arbeit ausmachen. Das Vertrauen zwischen sozialer Arbeit und deren KlientInnen ist die wichtigste Ressource. Wenn nun zu befürchten ist, dass die KlientInnen vor den Büros und Anlaufstellen der sozialen Arbeit durchsucht werden können, kann kein Vertrauen entstehen und die betreffenden Menschen sind kaum noch zu erreichen.

Was denn jetzt zu tun ist und überhaupt getan werden kann, lautet die Frage ans Podium. Die Antworten behandeln zwei Ebenen. Die erste ist die kurz- bis mittelfristige Ebene, wie die Kommunen auf die in Aussicht stehende Verabschiedung der Polizeirechtsnovelle reagieren. Heiko Rosenthal spricht über konkrete Überlegungen der Stadtverwaltung, die Bediensteten der Polizeibehörde zu verbeamten. Frank Tempel ergänzt, dass dies auch notwendig ist, um Missstimmungen zwischen der Landespolizei und den Polizeibehörden zu vermeiden. Denn die einen durchlaufen eine herausfordernde Ausbildung, die anderen würden für ähnliche Aufgaben schlechter bezahlt. Ferner schlägt er vor, dass Beamte der Landespolizei und Bedienstete der kommunalen Polizeibehörden bei aller nötigen Aufgabentrennung gemeinsame Dienste wahrnehmen.

Einig sind sich Tempel und Rosenthal darin, dass die Präventionsarbeit im Quartier unter Einbezug der sozialen Akteure als auch die Sicherheitspartnerschaften zwischen Polizei, Polizeibehörde und Kommune intensiviert werden müssen. Soweit, dass soziale Fragen auch mittels sozialer Arbeit und Vermittlung angegangen werden können und die Polizei gar nicht einschreiten muss. Enrico Stange fügt hinzu, dass das Versprechen vermeintlicher Sicherheit durch Vorverlagerung der Repression immer wieder hinterfragt werden muss. Am prominenten Beispiel der Waffenverbotszone rechnet er vor, welcher Aufwand betrieben werden muss, nur dass am Ende wieder eine Verschlechterung des subjektiven Sicherheitsgefühls steht. Zusammen mit Frank Tempel bringt er vielmehr zum Ausdruck, dass es statt ausgebauter Kompetenzen einen ausgebauten Personalstock braucht, so dass PolizistInnen im Alltag ansprechbar sind und nicht von Einsatz zu Einsatz hasten.

Die zweite, langfristige Ebene bringt Rebecca Pates auf den Punkt: „Ich wünsche mir eine andere Diskussion.“ Denn statt einer Gesetzesreform mit Kompetenzausbau und Aufgabenübertragung, braucht es eine Debatte darüber, was diese Gesellschaft als sicher erachtet, was sie für Sicherheit zu investieren bereit ist, welche Schranken der Sicherheit gegenüber der Freiheit des Individuums auferlegt werden und welche Rolle hierbei die Polizei spielt. Frank Tempel gibt zu Bedenken, dass in der Ausbildung von PolizistInnen die Psychologie von Opfern und TäterInnen viel Platz einnimmt, aber nicht die eigene der PolizistInnen selbst. Eine fortwährende Reflexion über die Wahrnehmungen und Beobachtungen im Dienst ist nicht vorgesehen. Demnach entwickeln nach seiner Aussage viele PolizistInnen eine Selbstwahrnehmung als Verkörperung von Recht und Ordnung, was wiederum die Urteilskraft hinsichtlich der Eignung, Erforderlichkeit und der Angemessenheit von Maßnahmen trübt. Er hegt den Wunsch, dass sich die Polizei wieder mehr in Richtung eines demokratischen Leitbildes entwickelt und dass muss bereits Teil der Ausbildung sein. Ans Podium gerichtet schließt er mit den Worten, wer die Polizei aus kritischer Haltung heraus verändern will, braucht das Bündnis mit den kritischen PolizistInnen. Stange pflichtet bei, dass die Polizei sich wieder mehr als Teil dieser Gesellschaft verstehen muss. Auch Rebecca Pates, Georg Grohmann und Heiko Rosenthal stimmen zu, dass einzelne Maßnahmen wie die Einrichtung von Beschwerdestellen Stückwerk bleiben müssen, wenn sich nicht grundsätzlich etwas in der Beziehung zwischen Gesellschaft und Polizei ändert.